Angedacht

Liebe Gemeinde,

es ist November – der Beginn der dunklen Jahreszeit. Und wenn ich an den November denke, fällt mir die Geschichte von St. Martin ein. Ein Reiter auf dem Weg durch den Schneesturm sieht in der Ferne einen armen Mann in zerlumpter Kleidung. Er reitet zu ihm. Der Arme bittet den Reiter, ihm zu helfen. Der überlegt nicht lange, trennt mit seinem Schwert seinen warmen kostbaren Mantel in zwei Hälften und gibt eine davon dem Armen. Dieser nimmt die Hälfte und ist geschützt, gerettet vor der eisigen Kälte. Diese Geschichte zum Martinstag beeindruckt Jahr für Jahr viele Kinder in den Gemeinden. Aber nicht nur die Kinder sind beeindruckt, sondern auch ich.

Ein Fremder hilft einem Mann, der nichts hat, scheinbar am Erfrieren ist, Not leidet. Nicht mit Geld, sondern ganz praktisch mit einem Teil seines Mantels. Oft frage ich mich, wenn ich diese Geschichte höre: was hätte ich getan an der Stelle des Reiters? Hätte ich auch angehalten, oder wäre ich schnell weitergeritten und hätte so getan, als hätte ich ihn nicht gesehen. Was hätten Sie getan?

Es gibt so viele Momente, in denen man das Gefühl hat, sowieso nichts ändern zu können. Und manchmal auch nicht zu wollen. Warum sollte man für jemanden da sein, der sich selbst immer wieder in aussichtslose Situationen manövriert? Freundlich zu jemanden sein, der unfreundlich ist? Jemanden helfen, von dem man keinen Dank erwarten kann?

Eine Gegenfrage: Warum eigentlich nicht? Muss das Verhalten anderer Menschen mein Handeln bestimmen? Oder kann ich mir nicht viel mehr selbst aussuchen, wie ich lebe und was ich mit der Welt teile? Denn gerade, wenn es dunkel ist, wenn Unfreundlichkeit und Lieblosigkeit herrschen, brauchen Menschen ein Licht, das die Nacht heller macht. Quasi ein „Trotzdem – Licht“.  Ich möchte Sie ermutigen, gerade mit Beginn dieser dunklen Jahreszeit: Gehen Sie auf andere zu, tun Sie Gutes, so wie es St. Martin tat, als er seinen Mantel mit dem Armen teilte. „Ihr seid das Licht für die Welt“ (Mt 5,14), hat Jesus zu seinen Freunden gesagt. Wenn ich darüber nachdenke, heißt das auch: Wenn ich nicht leuchte, bleibt es vielleicht dunkel. Und oft genügt schon eine kleine Flamme, damit die Nacht ein bisschen heller wird. Grund genug, mein Licht leuchten zu lassen, finde ich. Und so lade ich Sie ein probieren Sie es in diesem dunklen Monat einmal aus – seien Sie in Ihrem Alltag ein Licht in der Dunkelheit!

Bleiben Sie behütet!

 

Ihre Pfarrerin Franziska Geißler